Ich habe noch nie so viel Dreck, Müll, Bauschutt, soviel Verfall und soviel marode Infrastruktur so dicht und nahe beieinander erlebt. Der Zauber des Paris der Karibik liegt in Schutt und Asche und lediglich Mangel, Not und Entbehrung blühen im Überfluss. Doch ausgeleuchtet vom Lichtkegel einer unerschütterliche Lebensfreude scheint es, als seien Stolz und Selbstbewusstsein der Menschen in Havanna viel robuster als ihre zerfallende Stadt. Die Alten sind noch immer stolz auf die grandiosen, wenn auch längst vergangenen Augenblicke ihrer Revolution und deren, als so segensreich gepriesene Errungenschaften, die mittlerweile zerronnen sind, wie der Sand zwischen den Fingern. Die Jungen sind selbstbewusst, um die Tatsache wissend, dass sie eine einzigartig wertvolle kulturelle und ethnische Assemblage personifizieren.
Unverhohlen stolz und selbstbewusst sind sie, die Menschen in Havanna, obschon sie sich aus ihrer Sicht herablassen müssen, um zu dienen, sich zu untergeben und gar um sich zu prostituieren, indem sie sich bereits für einen fotografischen Schnappschuss bezahlen lassen - vom Blowjob soll hier gar nicht die Rede sein. Nachdem die sozialiste Welt zusammengebrochen ist und sich die industrielle Welt wirtschaftlich von der ihren abgekehrt hat, sind es mittlerweile in ihrem Land und ihrer Gesellschafts die einzigen Möglichkeiten, zusätzlichen Ertrag zu generieren, mit dem sich das Leben etwas komfortabler einrichten lässt. Wie viel Stolz und Selbstbewusstsein braucht es, um es zu ertragen, die Ausgesandten derer zu bedienen, die einen selbst am ausgestreckten Arm verhungern lassen.
Und so steht man da, als einer dieser Ausgesandten, an einer Straßenecke und betrachten den allfälligen Unrat und Verschleiss, die immer weiter zerbröckelnden Fragmente kollonialistischer Hybris mit einer Mischung der Gefühle aus Entsetzen, Ekel und tiefer Faszination und zwischen Hundeköttel auf dem zerfallenen Gehsteig, alten Blechdosen in den Pfützen der löchrigen Straße und vergammeltem Gemüse im Rinnstein tänzelt vorüber ein trendig gekleideter junger Adonis, den sportlich Duft eines westlichen Eau de Toilette verströmend oder eine dunkelhäutige Venus in marvelweißen Jeans, spitzenbesetzter Bluse und mit brillant funkelnden Lippen. Das ist Havanna - abgrundtief dreckig und himmlisch schön.
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